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Psychische Erkrankungen und Telemedizin

Ein Blogbeitrag von Luca Schmidt

Vorkommen und Folgen psychischer Erkrankungen

Psychische Erkrankungen sind in Deutschland weit verbreitet und nehmen damit auch in Thüringen immer weiter zu [1]. Jedes Jahr sind 27,8 % (ca. 17,8Millionen) der Erwachsenen in der Bundesrepublik von einer psychischen Erkrankung betroffen [2]. Zu den drei häufigsten Störungen zählen die Angststörung mit 15,4 %, die unipolare Depression mit 8,2 % und Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum mit 5,7 % (Abbildung 1, [3]).

 

Diese gehen zum Teil mit massiven Beeinträchtigungen der Lebensqualität, des Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit einher, was aktuelle Datennahelegen: im Jahr 2020 waren psychische Erkrankungen mit 17 % die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeitstage und mit ca. 38 % die häufigste Ursache für Frühverrentungen, woraus eine enorme Belastung für das Gesundheits- und Wirtschaftssystem resultiert [2]. Somit sind psychische Erkrankungen von hoher individueller und gesellschaftlicher Relevanz.

Therapieangebote und strukturelle Barrieren

Für die Behandlung psychischer Erkrankungen existieren verschiedene Anlaufstellen. Von den 17,8 Millionen Betroffenen berichten nur 19 % (ca.3,4 Millionen), im vergangenen Jahr eine Gesundheitsleistung aufgrund ihrer psychischen Beschwerden in Anspruch genommen zu haben. Davon begaben sich 16 %in eine ambulante und 2,3 % in eine stationäre Behandlung. Weitere 3,5 % wurden in Einrichtungen wie z.B. Beratungszentren oder Selbsthilfegruppen unterstützt[3].

Obwohl die mangelnde Behandlung auch individuelle Gründe hat, werden insbesondere strukturelle Versorgungsmissstände wie z.B. die Erreichbarkeit von Therapieangeboten diskutiert [4]. So ist in Thüringen die Verfügbarkeit von Therapieplätzen für Erwachsene und auch in großen Städten wie Jena oder Erfurt gering [5]. Insbesondere strukturelle Barrieren wie die Anzahl der Therapieplätze und die Unterschiede zwischen der städtischen und ländlichen psychotherapeutischen Versorgung gelten als Einflussfaktoren, die den Zugang zur Behandlung erschweren [4]. Das kann insbesondere dann zur Herausforderung werden, wenn z.B. nach einer (teil-)stationären Behandlung bei der anschließenden ambulanten Versorgung eine durchgehende Betreuung durch weite Anfahrtswege oder fehlende Therapieplätze nicht in ausreichendem Maße ermöglicht werden kann. Infolgedessen können Therapieeffekte und -erfolge beeinträchtigt werden [6].

Telemedizin als Ergänzung zu herkömmlichen Angeboten?

Um diese Situation zu verbessern, werden teletherapeutische Ansätze im psychiatrischen Bereich erprobt. So wurde in einer Studie für PatientInnen mit psychischen Störungen ein telemedizinisches Versorgungskonzept entwickelt, um basierend auf telefonischen und individualisierten Textnachrichten die Behandlung nach der Therapie in einer psychiatrischen Tagesklinik fortzusetzen[7]. Die 113 Teilnehmenden wurden zufällig in drei Gruppen zugeordnet: (1) eine Kontrollgruppe, (2) nur telefonischer Kontakt und (3) eine weitere Gruppe, denen sowohl der Telefonkontakt als auch zusätzliche Textnachrichten angeboten wurden. Dabei zeigte die Gruppe 2 im Vergleich zur Kontrollgruppe einen signifikanten Effekt bei Angstzuständen (p = 0,036) und eine positive Tendenz bei Depressionen (p= 0,046), insbesondere bei Fällen mit höherer Symptomlast zu Studienbeginn. Daraus schlussfolgern die AutorInnen, dass telemedizinische Anwendungen die ambulante psychiatrische Versorgung unterstützen können.

Neben der Überwindung von räumlichen Distanzen bzw. dem Angebot einer wohnortnahen Versorgung (bspw. nach Entlassung aus einer stationären oderteilstationären Therapie) in ländlichen Regionen werden für bestimmte Gruppen von PatientInnen weitere Vorteile diskutiert. Das sind beispielsweise die Verfügbarkeit von psychotherapeutischen Behandlungen, regelmäßige Hilfen zur Tagesstrukturierung sowie schnell verfügbare Gesprächsangebote. Zudem können telemedizinische Angebote den PatientInnen einen niedrigschwelligen Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung ermöglichen, sodass (auch) krankheitsbedingte Barrieren überwunden werden können. So ist die körperliche Anwesenheit nicht in jedem Fall zwingend notwendig, was für PatientInnen entlastend sein kann, für die bereits der Aufenthalt im Wartezimmer mit anderen Personen oder die Anfahrt zur Praxis eine Belastung darstellt. Auch die Terminvereinbarung, Organisation und weitere, individuell wahrgenommene Barrieren können für manche Personenherausfordernd sein. Daher kann durch den teletherapeutischen Einsatz nebeneiner psychischen Entlastung für die PatientInnen auch das Risiko vermindert werden, Therapieangebote nicht wahrzunehmen [6].

Zusammenfassend kann die telemedizinische Behandlung von psychischen Erkrankungen eine sinnvolle Maßnahme sein, um besonders diese PatientInnengruppe zu unterstützen. Wie auch in anderen Bereichen der Telemedizin geht es nicht darum, die Therapie grundsätzlich nur digital aus der Ferne durchzuführen und damit bestehende face-to-face-Formate zu ersetzen. Der Nutzen digitaler Angebote besteht vielmehr darin, Engpässe zu überwinden und weitere Behandlungsoptionen oder -ergänzungen anzubieten.  

Literaturverzeichnis:

1.      MDR Thüringen (2023). Thüringen:Starke Zunahme an psychischen Erkrankungen in Thüringen. Online verfügbarunter: https://www.tagesschau.de/inland/regional/thueringen/mdr-starke-zunahme-an-psychischen-stoerungen-und-erkrankungen-in-thueringen-100.html (Abgerufen am 17.07.2023)

 

2.      Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatikund Nervenheilkunde (2023). Basisdaten Psychische Erkrankungen. Online verfügbar unter:  https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/93a818859031c45661aa7f6d298d6fecc6de45e9/20230104_Factsheet_Kennzahlen.pdf (Abgerufen am 17.07.2023)

 

3.      Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatikund Nervenheilkunde (2023). Psychische Erkrankungen in Deutschland:Schwerpunkt Versorgung. Online verfügbar unter: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/f80fb3f112b4eda48f6c5f3c68d23632a03ba599/DGPPN_Dossier%20web.pdf (Abgerufen am 17.07.2023)

 

4.      Steubl, L. S.,& Baumeister, H. (2023). Videobasierte Psychotherapie: AktuelleRahmenbedingungen und Entwicklungen sowie Empfehlungen für die praktischeUmsetzung. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz,66(2), 154–159. Online verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/s00103-022-03644-6 (Abgerufen am 17.07.2023)

 

5.      Deutsches Ärzteblatt(2023). Psychotherapeuten: Hohe Auslastung in Sachsen und Thüringen. Online verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/142631/Psychotherapeuten-Hohe-Auslastung-in-Sachsen-und-Thueringen (Abgerufen am 17.07.2023)

 

6.      van den Berg,N., Grabe, H.-J., Stentzel, U., & Hoffmann, W. (2021). Telemedizin in derPsychiatrie. In G. Marx, R. Rossaint, & N. Marx (Hrsg.), Telemedizin:Grundlagen und praktische Anwendung in stationären und ambulanten Einrichtungen(S. 193–202). Springer. Online verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/978-3-662-60611-7_15 (Abgerufen am 17.07.2023)

 

7.      van den Berg,N., Grabe, H.-J., Baumeister, S. E., Freyberger, H. J., & Hoffmann, W.(2015). A Telephone- and Text Message-Based Telemedicine Concept for Patientswith Mental Health Disorders: Results of a Randomized Controlled Trial. Psychotherapyand Psychosomatics, 84(2), 82–89. Online verfügbar unter: https://doi.org/10.1159/000369468 (Abgerufen am 17.07.2023)

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