wecare Facts - Demografischer Wandel und Versorgungsmodelle in Thüringen

Bevölkerungsentwicklung in Deutschland - aktuelle Trends

Der demografische Wandel stellt das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System zahlreicher Industrieländer bereits seit einigen Jahren vor große Herausforderungen: Zunehmende gesellschaftliche Überalterung, zurückgehende Geburtenraten sowie dynamische Zu- und Abwanderungsprozesse betreffen insbesondere Räume, in denen ein Strukturwandel notwendig ist.

Abbildung 1: Bevölkerungswachstum, 1990-2020 | © Demografieportal – 2022 https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/bevoelkerungsentwicklung-regional-seit-1990.html;jsessionid=CFF9CECE0FEF99E29199F67973C339F4.intranet672 [/caption]

Auch Regionen in Deutschland sind von diesen Entwicklungen betroffen. Seit Anfang der 1970er Jahre sterben mehr Menschen als geboren werden und der Anteil der SeniorInnen wächst stetig [1]. Auch zukünftig wird die Gesellschaft weiter altern - bereits jetzt ist jede fünfte Person in der Bundesrepublik älter als 66 Jahre, bis 2039 wird ein Zuwachs dieser Altersgruppe auf rund 21 Millionen erwartet [2]. Allerdings gibt es starke regionale Unterschiede. In Ostdeutschland und den ländlichen Räumen ist die Situation deutlich prekärer als in den westlichen Bundesländern und Städten.

Demografischer Wandel in Thüringen

Das Bundesland Thüringen ist besonders von diesen Entwicklungen betroffen. Hier zeigt sich seit Jahrzehnten eine kontinuierliche Abnahme der Bevölkerung: Während 1950 - zum Zeitpunkt der ersten Aufzeichnung - noch über 2.900.000 Einwohner in Thüringen lebten, waren es im Jahr 2021 nur noch knapp 2.100.000 [3]. Wirft man einen Blick auf die letzten Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung (1990-2021), wird dieser Trend noch einmal deutlicher. Mit einem Minus von 19% ist die Bevölkerung in kaum einem anderen Bundesland stärker zurückgegangen - übertroffen wird Thüringen nur noch von Sachsen-Anhalt (-25%). Aktuelle Prognosen für die nächsten Jahrzehnte gehen von einem weiterhin hohen Bevölkerungsrückgang von ca. 18% bis 2050 aus [4]. Ein weiteres deutliches Merkmal des demographischen Wandels in Thüringen ist die gesellschaftliche Überalterung. Im Jahr 2020 war die größte in der Bevölkerung vertretene Altersgruppe die der 55- bis 60-Jährigen, dicht gefolgt von der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen [5].

Auch innerhalb Thüringens zeigen sich starke regionale Unterschiede. Während die Städte Jena und Erfurt seit der deutschen Wende gewachsen sind, ist die Bevölkerung in den meisten übrigen Landkreisen und Gemeinden in den letzten Jahren geschrumpft. Besonders gravierend zeigt sich dieser Trend in der Stadt Suhl - zwischen 1990 und 2021 hat sie rund 37% ihrer Bevölkerung verloren [6]. Auch die Prognose für die nächsten Jahrzehnte sagt einen kontinuierlichen Bevölkerungsrückgang voraus. Laut den Einschätzungen des Thüringer Landesamt für Statistik wird in allen Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in Thüringen bis 2040 ein Rückgang im zweistelligen Bereich erwartet. Besonders stark betroffen sind in diesem Zusammenhang die Landkreise Greiz (-19,7%), der Kyffhäuserkreis (-19,7%) sowie Saalfeld-Rudolstadt (19,3%) [7].

Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge

Die Veränderungen der gesellschaftlichen Altersstruktur und der Bevölkerungsrückgang bleiben nicht folgenlos. Durch die zunehmende Überalterung sind immer mehr Menschen von Mobilitäts- und Gesundheitseinschränkungen betroffen und auf eine umfassende gesundheitliche Versorgung angewiesen. Thüringen nimmt in diesem Kontext bundesweit eine Sonderrolle ein, da dort die höchste Zunahme an pflegebedürftigen Menschen zu verzeichnen ist (24% zwischen 2015 und 2017) [8]. Dieser gestiegene Versorgungsbedarf ist einerseits auf die Zunahme akuter Erkrankungen mit steigendem Alter zurückzuführen und andererseits auf chronische Krankheitsbilder, die eine Langzeitbetreuung erfordern. Auch die Multimorbidität, also das gleichzeitige Bestehen von drei oder mehr Erkrankungen, nimmt zu und stellt eine zunehmende Belastung für das Gesundheitssystem dar. In Thüringen spielen insbesondere kardiovaskuläre Krankheitsbilder eine große Rolle. Aus den Daten des Morbiditäts- und Sozialatlas der Barmer Krankenkasse aus dem Jahr 2020 geht hervor, dass die Prävalenz der Herzerkrankungen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt in jedem Thüringer Landkreis erhöht war und um bis zu 28 % (Landkreis Eichsfeld) über dem Bundesdurchschnitt lag [9].

Diese Entwicklungen stellen das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen: Die steigende Zahl an älteren Menschen mit erhöhtem Versorgungsbedarf erfordert zunehmend mehr Kapazitäten in der Pflege. Gleichzeitig stehen künftig aber immer weniger junge Menschen zur Verfügung, die diese Aufgaben übernehmen können [10]. Um diese Defizite auszugleichen, bedarf es innovativer und digitaler Konzepte, die Krankenhäuser und Pflegekräfte in besonders betroffenen Regionen entlasten können.

Seltenrain als erste Modellregion für Gesundheitskioske in Thüringen

Eröffnung des Gesundheitskiosks in Urleben mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow | © WeCaRe-Agentur[/caption]

Eine geringe ÄrztInnendichte, weite Wege zur nächsten Klinik und defizitäre Infrastrukturen im ländlichen Raum führen zu einer potentiell schlechteren Daseinsvorsorge und Frustration der ansässigen Bevölkerung. Um die Gesundheitsversorgung in den strukturschwachen Regionen zu verbessern, braucht es daher Lösungen, die bedarfsgerecht und vor Ort entwickelt werden. Am 03.11.2022 wurde aus diesen Impulsen heraus der erste Gesundheitskiosk Thüringens in Urleben, einer Gemeinde im Unstrut-Hainich-Kreis (Dorfregion Seltenrain) eröffnet. In den Räumlichkeiten der mit Solarenergie versorgten Holzbauten sollen künftig Sozial- und Gesundheitsberatungen und sogar Sprechstunden mit FachärztInnen angeboten werden. Ziel der Gesundheitskioske ist es, eine niedrigschwellige Zugänglichkeit zum Versorgungsangebot zu schaffen und Menschen vor Ort besser über ihre Möglichkeiten aufzuklären.

Der Gesundheitskiosk von innen: Die Räumlichkeiten sind so ausgestattet, dass auch Telekonsultationen möglich sind | © WeCaRe-Agentur[/caption]Die Finanzierung des Projekts erfolgt zum Großteil über das Land Thüringen und die Stiftung Landleben in Seltenrain, die sich bereits seit 2011 für bessere Gesundheitsversorgung und Mobilitätsdienste einsetzt. Christopher Kaufmann, Projektleiter der Stiftung ist sich sicher, dass die Region von dem Projekt profitieren wird: “Die Einweihung des Gesundheitskiosks in Urleben ist ein wichtiger Meilenstein, um den Folgen des demografischen Wandels entgegenzuwirken und die Gesundheitsversorgung in den ländlichen Regionen Thüringens zu verbessern. Die Pflege- und Beratungsangebote des Projekts sind dabei für alle BürgerInnen gedacht, kommen aber natürlich insbesondere älteren und weniger mobilen Personen zugute, die auf eine gesundheitliche Versorgung vor Ort angewiesen sind. Mit den neu gebauten Versorgungszentren wollen wir den Menschen vor Ort ein Stück Lebensqualität zurückgeben.”

Literaturverzeichnis:

  1. Statistisches Bundesamt (Destatis), Demografische Aspekte. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/textbaustein-taser-blau-bevoelkerungszahl.html (Abgerufen am: 07.11.2022)
  2. Statistisches Bundesamt (Destatis), Demografischer Wandel. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/_inhalt.html#353406 (Abgerufen am: 07.11.2022)
  3. Thüringer Landesamt für Statistik, Entwicklung der Bevölkerung ab 1950. Online verfügbar unter: https://statistik.thueringen.de/datenbank/TabAnzeige.asp?tabelle=zr000101%7C%7C  (Abgerufen am: 07.11.2022)
  4. Demografieportal, Fakten - Bevölkerung nach Bundesländern. Online verfügbar unter: https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/bevoelkerung-laender.html?nn=676784 (Abgerufen am: 07.11.2022)
  5. Thüringer Landesamt für Statistik, Statistisches Jahrbuch Thüringen - Ausgabe 2021. Online verfügbar unter: https://statistik.thueringen.de/webshop/pdf/2021/40101_ 2021_00.pdf (Abgerufen am: 07.11.2022)
  6. Demografieportal, Regionale Bevölkerungsentwicklung seit 1990. Online verfügbar unter: https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/bevoelkerungsentwicklung-regional-seit-1990.html;jsessionid=CFF9CECE0FEF99E29199F67973C339F4.intranet672 (Abgerufen am: 07.11.2022)
  7. Thüringer Landesamt für Statistik, Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung der kreisangehörigen Gemeinden, erfüllenden Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in Thüringen 2020 bis 2040. Online verfügbar unter: https://statistik.thueringen.de/datenbank/TabAnzeige.asp?tabelle=gg001131%7C%7C (Abgerufen am: 07.11.2022)
  8. Rothgang, H., & Müller, R., Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse. Band 12. 2018, Asgard-Verlagsservice GmbH. Online verfügbar unter: https://www.barmer.de/resource/blob/1028518/ 9186b971babc3f80267fc329d65f8e5e/barmer-pflegereport-2018-band-12-data.pdf (Abgerufen am: 07.11.2022)
  9. BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung, Morbiditäts- und Sozialatlas. Online verfügbar unter: https://www.bifg.de/atlas/herzerkrankungen (Abgerufen am: 07.11.2022)
  10. Tiemann, M., & Mohokum, M., Demografischer Wandel, Krankheitspanorama, Multimorbidität und Mortalität in Deutschland, in M. Tiemann & M. Mohokum (Hrsg.), Prävention und Gesundheitsförderung. 2021, Springer Berlin. S. 3-11. Online verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/978-3-662-62426-5_1 (Abgerufen am: 07.11.2022)

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Sofie Lutterbeck